120 Jahre Waldlust: "Flotter Stil und frisch froher Anstrich"
An jenem Samstag, 26. Mai, des Jahres 1900 wehte vom First die deutsche Fahne und kündete von der Eröffnung des neuen Hotels und Restaurants. An einem der schönsten Punkte Freudenstadts, im Palmenwald, am Ende des neuen Villenviertels, hielt die „Waldlust“ Hof. 100 geladene Gäste dinierten anlässlich der Premierenfeier. In den vom elektrischen Licht durchfluteten Sälen wurde ein exquisites Mahl serviert, die Militärkapelle Schneckenburger musizierte, Bauherr und Hotelier Ernst Luz begrüßte und dankte den am Neubau Beteiligten. Und Stadtschultheiß Alfred Hartranft überbrachte die Glückwünsche der Stadt für ein „Waldschlösslein, das rührige Heinzelmännchen über Nacht aus verborgenem Grunde hervorgezaubert“ zu haben schienen.
Der neue Villenbau, das Gründungsbauwerk des späteren Grandhotels Waldlust, übertraf alle Erwartungen. Zwei Tage später erschienen die Presseberichte und zollten dem bald „Schmuckkästchen“ genannten Jugendstil-Kleinod in bestechend schöner Aussichtslage Reverenz. In „flottem Stil“ und dem „frisch-frohen Anstrich“ präsentiere sich das Hotel schon außen auf das Vorteilhafteste. Erst recht überzeuge aber „das Innere, die Einteilung, Einrichtung, Ausstattung und der nur immer erdenkliche Komfort“, so ein Chronist.
Das Neue Tagblatt Stuttgart attestierte „Eleganz und Pracht“ in einem mit „kecker Silhouette“ errichteten „Etablissement“. Hier werde „in seiner Art das Höchste geboten, was an moderner Ausstattung und raffinierter Einrichtung geleistet werden kann“. Die Schmückung aller Räume, über 3 Stockwerke, vom Entrée, über Kaffeesaal zur glasbedeckten Terrasse, zu Wohnzimmern, Loggien und Erker, ergebe „ in Formen und Farben ein Gemisch von englischer, amerikanischer und deutscher Einrichtung“. Der Bericht notiert begeistert die kirschrote Farbe des Buchenholztäfers, die gemalten Motive der Fensterverglasungen, die luxuriöse Ausstattung der Pensionszimmer. Und er schwärmt von der großartigen Aussicht dieser „wahren Observatorien“ sowie dem sich an „Hotel, Familienpension, Café und Restaurant“ direkt anschließenden „Gewirr reizender Waldwege“.
Mit dem Bau des Sommerhauses für seine erfolgreiche Nobelherberge „Schwarzwaldhotel“ am Hauptbahnhof traf Ernst Luz jr. die wohl folgen- und weitreichendste Entscheidung seines Lebens.
Sein Vater Ernst Luz sen. hatte bereits den Grundstein gelegt – für eine aufblühende Hoteldynastie, die größte seinerzeit im Süden des Kaiserreichs, und für den rasanten Ausbau des Freudenstädter Kurwesens. Das 1879 erbaute Schwarzwaldhotel, 1886 an den ältesten Sohn weitergereicht, war Dreh- und Angelpunkt für Hotelkultur höchster Qualität, die international keinen Vergleich scheuen brauchte. Das Luz’sche Hotel am Bahnhof wurde ein Anziehungspunkt für ausländische Kurgäste, vor allem Engländer. Für diese wurde eigens eine Hauskapelle errichtet, wo sommers sogar ein anglikanischer Kaplan die Messen las.
Blickte man vom Schwarzwaldhotel zum dunklen Tannengrün des Kienberg hoch, so muss wohl der Hotelier Luz in Fortsetzung zum Kurheim Salem und dem 1895 erbauten Kurhaus Palmenwald dort den perfekten Ort für eine Sommerdependance erkannt haben. 1899 ließ er durch seinen Schwager, den Nürnberger Architekten Häberle, die Villa Waldlust entwerfen und ausführen. Mit nur 12 Zimmern ausgestattet wurde sie zu einem exklusiven Parade-Domizil. Aber das Waldschlösschen war ja mehr: Café und Restauration, Ausflugslokal und Wanderziel.
Dem geschäftstüchtigen Unternehmer Luz blieb so keine andere Wahl, als nach nur 2 Jahren eine Erweiterungsplanung anzustrengen, welche die „Familienpension ersten Ranges“ schon 1903, nach 8 Monaten Bauzeit, in ein hochelegantes Luxushotel, ja ein Hotelschloss verwandeln sollte. Einem der renommiertesten Architekten seiner Zeit, dem Baden-Badener Wilhelm Vittali, gelang dabei ein formvollendeter, stilprächtiger Bau, dessen Kunstfertigkeit und repräsentative Grandezza dem Haus bis heute anhaftet. Das Fürsten- und Nobelhotel Waldlust, erstes und teuerstes Hotel am Platze, war nun geschaffen. Ein Treffpunkt der vornehmen Welt, für den Jetset, den Hochadel, für Künstler, Literaten und die Hochfinanz aus aller Welt. 120 Jahre Hotel Waldlust stehen für eine einzigartige Geschichte von Ruhm, Glanz und Blüte wie auch für Niedergang und Vergänglichkeit. Die Waldlust –sie war einst Freudenstadts Tor zur Welt.
(Bildpostkarten, Repros stammen aus dem Archiv des Denkmalvereins Freudenstadt)
Info: Das denkmalgeschützte Grandhotel Waldlust mit umgebendem Parkgelände, das sich über rund 14.000 qm erstreckt, befindet sich in Privatbesitz. Der Hotelbetrieb, zuletzt Pächter-geführt, endete vor über 15 Jahren im Frühjahr 2005. Weil für den illustren architektur-, sozial- und lokalgeschichtlichen Kulturschatz keine Unterhaltung, keine Gebäudesicherheit oder ein Präsenzschutz gewährt wurden, dies weder von privater noch öffentlicher oder staatlicher Seite, startete der Denkmalverein Freudenstadt 2006 seine ehrenamtliche Denkmalrettungs-Initiative Hotel Waldlust. Diese aufopferungsvolle Kampagne, die zum Ziel hatte und hat, den Verfall abzuwehren, die Denkmalsubstanz und die historisch wertvollen Ausstattungen zu konservieren und das Haus im öffentlichem Bewusstsein und in Wertachtung zu verankern, reicht bis zum heutigen Tage.
Seit 2019 führen die „Denkmalfreunde Waldlust“, ein Tochterverein und Nachfolgeorganisation, die Geschicke des gefährdeten Kulturdenkmals. Ein neuer Schwerpunkt ist nun, das Architektur-Erbe durch denkmalgerechte, bürger-offene und kreative Nutzungen zu revitalisieren. Die An- und Zwischennutzungen der mittlerweile weithin berühmten „Lost Place“-Location erstrecken sich über ein immens breites Spektrum: Kultstätte und Kulisse für Fotografie, Film und Werbemarketing. Das Grandhotel dient aufgrund seines außerordentlichen Flairs außerdem als Event-Location für Festlichkeiten und Feieranlässe aller Art, für Kultur- und Konzertveranstaltungen. Es finden regelmäßig Besucher-Führungen und Öffnungstage statt. Es können sogar Übernachtungen in der exquisiten „Ernst-Luz-Suite“ gebucht werden. Die Denkmal-Initiative Waldlust möchte das stadt- und regionalgeschichtlich bedeutende Baudenkmal in eine Stiftungs-Trägerschaft überführen, um so eine langfristige Substanzsicherung und eine schrittweise, behutsame Restaurierung zu erreichen.
Pünktlich zum Jubiläum ist ein Bildband mit Ansichten und Einblicken in die Waldlust erschienen.
Weitere Informationen zum Bildband und Bezugsquellen finden Sie unter: (Bildband Waldlust)